Sechs narrative Texte zur Frage nach religiöser Wahrheit und Toleranz aus zehn Jahrhunderten
Die Perle im dunklen Haus
Wahre und falsche Religion voneinander zu unterscheiden, ist dem sterblichen Menschen nicht möglich. Diese nüchterne Einsicht führt aber nicht zum Religionsstreit, sondern zu einem friedlichen Gespräch zwischen Vertretern des christlichen und muslimischen Glaubens. Die Parabel wirbt für Toleranz, denn religiöse Bescheidenheit gebietet Wertschätzung gegenüber Andersgläubigen.
“In tausend Jahren … ein weis’rer Mann als ich …”
Tausend Jahre später, im Sommer 1778 veröffentlichte Gotthold Ephraim Lessing seinen „Nathan der Weise”. In dieses Drama flocht er eine Erzählung ein, die bereits in zwei Versionen aus dem 13. und 14. Jahrhunderts vorlag. Lessing hatte sie zweifellos auch in seiner Bibliothek gelesen. Er verband dieses Traditionsgut mit den Idealen der Aufklärung.
Regen in der Karawanserei
Wenn Nathan recht behält, wird die Frage nach der wahren Religion erst „in tausend Jahren“ entschieden. Möglicherweise wird sich dann aber herausstellen, dass alle Religionen nur unvollkommene Abbilder der Wahrheit Gottes sind. Angesichts dieser Skepsis stellt sich die Frage, ob ein Mensch nicht ebenso Muslim, Jude oder Agnostiker werden könnte. Eine Antwort auf diese Frage gibt eine tausend Jahre alte Geschichte aus Bagdad.