Jeremia und das politische Engagement – Atlas der Zivilgesellschaft – Was kann ich tun?

6 x 90 Minuten

Sekundarstufe II (EF/Q1/Q2) 

Worum es geht

Youthopia – Bundesweites Aktionstreffen der Brot für die Welt Jugend vom 27.10.2017 – 29.10.2017 in Kassel
Copyright: Christof Krackhardt/Brot für die Welt

Immer wieder beziehen Christ:innen in gesellschaftlichen Fragen mehr oder weniger klare Positionen. Sie setzen sich durchaus nicht unumstritten zivilgesellschaftlich u.a. für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden ein.

Das SDG 16 – Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen hat u.a. das Ziel, die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene zu fördern und den gleichberechtigten Zugang aller zur Justiz zu gewährleisten. Es soll dafür sorgen, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist und den öffentliche Zugang zu Informationen gewährleistet ist und die Grundfreiheiten geschützt werden. Eine aktive und offene Zivilgesellschaft ist dabei ein Garant, dass diese Ziele erreicht werden können.

Gleichzeitig schwinden die Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft nach und nach immer weiter (shrinking space). Daher setzt sich die Unterrichtseinheit mit der Bedeutung der Zivilgesellschaft (inklusive der Kirchen) für ein freies, friedliches und gerechtes Miteinander in Kommunen, Ländern und der Weltgemeinschaft auseinander.

Die Konzeption orientiert sich am Dreischritt „Sehen – Erkennen – Handeln“:

  1. Biblischer Zugang anhand von Jeremia 29,1-7 – #Lehrkräfte und Schüler:innen gegen rechts – Öffentliche Theologie.
  2. Erarbeitung der Bedeutung der Zivilgesellschaft für ein gelingendes Gemeinwesen – shrinking space – beispielhaftes Handeln junger Menschen aus und in der Zivilgesellschaft.
  3. Wahrnehmung der zivilgesellschaftlichen Handlungsoptionen von Schüler:innen – Erarbeitung und Diskussion von Aktionsformen.

Das Unterrichtsvorhaben lässt sich sehr gut curricular im Bereich der Ekklesiologie (konkret: Verhältnis von Staat und Kirche, bzw. Religion und Politik) oder der Christologie (konkret: Konsequenzen aus der Reich-Gottes-Botschaft Jesu) verorten.

Die Arbeitsmaterialien stehen auch für den interaktiven Einsatz im Unterricht als h5p-Dateien zur Verfügung.

Schritt 1: Sehen

Verantwortung der Christ:innen für ein gelingendes Miteinander in der Gesellschaft

  1. In der Verhältnisbestimmung Staat-Kirche ist – international gesehen – die „res mixta“ in der BRD eine Besonderheit. Das Verhältnis von Religion/Glaube und Politik/Staat ist aber auch unabhängig von der bundesdeutschen Situation von grundsätzlicher Bedeutung. Welche Verantwortung besteht aus christlicher Überzeugung heraus für gesellschaftliche und politische Fragestellungen? Daher findet sich das Verhältnis von Staat und Kirche in den Curricula für die Sek I, v. a. aber für die Sek II, als wichtiges Inhaltsfeld des ev. RU.
  2. In Geschichte und Gegenwart wird die Verhältnisbestimmung immer wieder anhand von aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen virulent und neu diskutiert.
  3. Das Unterrichtsvorhaben setzt bei einer Anfang 2024 in Deutschland aufflammenden Problematik, dem erstarkenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus und der daraus resultierenden Gefährdung für die freiheitliche demokratische Grundordnung der BRD an. Dazu wird als Anforderungssituation „#Lehrkräfte und Schüler:innen gegen rechts“ den Schüler:innen nahegebracht. Diese sollen sich mit der Fragestellung, ob und wie ein Engagement aus der eigenen Schule heraus gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus aussehen könnte. Ziel ist die Entwicklung einer eigenen begründeten Stellungnahme zur Frage, wie „Gesicht zeigen gegen rechts“ verantwortlich gestaltet und begründet werden kann.
  4. Als biblische Orientierung dient eine Auseinandersetzung mit der Botschaft des Propheten Jeremia an die exilierten Israeliten in Babylon (Jer 29,1-7) und die Auslegung durch a) einen Theologen (Christian Kopp) und b) einen Politiker (Hans-Josef Vogel). Die Auslegungen werden erarbeitet und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse im Plenum diskutiert (Sicherung).
  5. Falls im Vorfeld der Durchführung des Unterrichtsvorhabens eine Auseinandersetzung mit klassischen Bestimmungen des Verhältnisses von Kirche und Staat stattgefunden hat, kann der zusammenfassende Blick auf das Konzept der Öffentlichen Theologie und Kirche von Heinrich Bedford-Strohm (M5) diese erneut und vertiefend ins Bewusstsein der Schüler:innen holen. Andernfalls werden so in knapper und anschaulicher Weise (ohne Nutzung der typischen Fachtermini) grundlegende Möglichkeiten dieser Verhältnisbestimmung erschlossen.

Kompetenzerwerb

Die Schüler:innen
  • benennen die aus dem Selbstverständnis der Kirche erwachsenen Handlungsfelder (Wahrnehmungskompetenz),
  • stellen unter Bezug auf eine biblische Grundlage Aufgaben der Christ:innen/Kirche in der Gesellschaft dar (Wahrnehmungskompetenz)
  • analysieren und vergleichen unterschiedliche Ansätze der Verhältnisbestimmung von Christ:innen und Kirche zum Staat und zur gesellschaftlichen Ordnung in Geschichte und Gegenwart (Deutungskompetenz),
  • erläutern an Beispielen unterschiedliche Formen des gesellschaftlichen Engagements der Kirche in ihrem jeweiligen historischen Kontext (Deutungskompetenz),
  • analysieren Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen kirchlichen Handelns angesichts der Herausforderungen im 21. Jahrhundert (Deutungskompetenz),
  • erörtern Handlungssituationen, in denen sich die Verantwortlichkeit des Menschen bewähren muss (Urteilskompetenz).

M1

#Lehrkräfte und Schüler:innen gegen rechts
(Link/h5p)

M2

Jeremia schreibt einen Brief nach Babylon (pdf/h5p)

M3

Christian Kopp Suchet der Stadt Bestes
(Link/h5p)

M4

Hans Josef Vogel Suchet der Stadt Bestes (Link/h5p)

M5

Heinrich Bedford-Strohm Öffentliche Theologie und Kirche
(Link/h5p)

Schritt 2: Erkennen

Möglichkeiten und Gefährdungen zivilgesellschaftlichen Engagements

  1. Die Kenntnisse der Schüler:innen über zivilgesellschaftlich agierende Organisationen werden aktiviert und systematisiert (M6). Bei nicht bekannten Organisationen recherchieren die Schüler:innen wichtige Rahmenbedingungen und Handlungsbereiche dieser zivilgesellschaftlichen Akteure.
  2. Vertiefend werden Handlungsfelder und -möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen erarbeitet und somit der Begriff der Zivilgesellschaft definitorisch geklärt und die Bedeutung der Zivilgesellschaft für eine freiheitliche Demokratie, für Menschenrechte und ein gutes Gelingen des Zusammenlebens in einem vielfältigen Gemeinwesen herausgearbeitet (M7).
  3. Die Lehrkraft zeigt den Schüler:innen (zunächst) unkommentiert die Übersichtskarte aus dem Atlas der Zivilgesellschaft (M8). Sodann werden die Schüler:innen aufgefordert, zu überlegen, welche Bedeutung die (fünf) Farben der Weltkarte haben. Dazu werden ggf. durch die Lehrkraft initiiert, Länder unmittelbar identifiziert und Cluster gebildet.
  4. Unter Bezugnahme auf den (interaktiven) Atlas der Zivilgesellschaft erschließen die Schüler:innen exemplarisch die unterschiedlichen Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen in verschiedenen Ländern der Welt. Dabei werden bei den fünf Kategorien (offen…geschlossen) jeweils v.a. die Konsequenzen für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in den Blick genommen (M9).
  5. Im Sinne des Lernens am Vorbild werden nun konkrete Beispiele zivilgesellschaftlichen Engagements erarbeitet. Dabei werden bewusst „ganz normale“ (jüngere) Personen und nicht „große Vorbilder“ gewählt. Die Schüler:innen lernen Menschen aus unterschiedlichen Kontexten und deren Einsatz kennen (M10a-e). Die Erarbeitung kann in Kleingruppen arbeitsteilig vollzogen werden (auch eine Auswahl aus den fünf vorliegenden Personen ist möglich). Darüber hinaus recherchieren die Schüler:innen in Einzelarbeit weitere Beispiele und stellen diese vor.

Kompetenzerwerb

Die Schüler:innen
  • lernen anhand unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen die Rolle und die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für ein gelingendes Miteinander im Gemeinwesen kennen (Wahrnehmungskompetenz),
  • arbeiten heraus, dass das Gemeinsame der vorgestellten (und weiterer) NGOs das nicht staatlich und nicht wirtschaftlich orientierte bürgerschaftliche Engagement ist (Deutungskompetenz),
  • erkennen, dass es im weltweiten Kontext gesehen große Unterschiede darin gibt, wie offen eine Gesellschaft ist und wie frei oder beschränkt zivilgesellschaftliches Handeln ist und welche Folgen sich für das jeweilige Gemeinwesen und einzelne Personen daraus ergeben (Wahrnehmungskompetenz),
  • erörtern anhand der Erkenntnisse aus der Analyse des Atlasses der Zivilgesellschaft Handlungssituationen, in denen sich die Verantwortlichkeit des Menschen bewähren muss (Urteilskompetenz),
  • recherchieren und präsentieren Personen, die sich aktiv zivilgesellschaftlich einbringen (Wahrnehmungs- und Methodenkompetenz).

M6

Wer oder Was (pdf/docx/h5p)

M7

Was ist Zivilgesellschaft? (pdf/docx/h5p)

M8

Grafik Atlas der Zivilgesellschaft
(Link 2023/Link 2024)

M9

Handlungsspielraum schrumpft
(h5p)

M10a-e

„Echt super, was Du machst!“
(h5p)

Icon Label

Schritt 3: Handeln

Kennenlernen und Auseinandersetzung mit Aktionsformen zivilgesellschaftlichen Handelns und Treffen einer begründeten Entscheidung im Blick auf die Anforderungssituation (vgl. Schritt 1)

  1. Die Lehrkraft bringt den Schüler:innen die Anforderungssituation (vgl. Schritt 1) nochmals ins Bewusstsein. Ziel ist es nun eine begründete Position zu entwickeln und Stellung zu nehmen.
  2. Neben der Aktionsform „Gesicht zeigen via Instagram“ lernen die Schüler:innen weitere (gewaltfreie) Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft kennen und erörtern diese im Blick auf die konkrete Anforderungssituation (M11).
  3. Die Schüler:innen bereiten in Einzelarbeit oder in Kleingruppen eine Debatte (vgl. als Anregung u. a. www.jugend-debattiert.de ) unter Bezugnahme auf die bearbeiteten Aktionsformen zur aufgezeigten Thematik vor und führen diese dann durch.

Wichtiger Hinweis zum h5p-Baustein M11: Die Webseite, auf welcher dein H5P-Inhalt liegt, muss die Speicherung der Eingaben auch unterstützen, sonst gehen alle Eingaben verloren! Daher kopieren Sie sich das h5p-Element bitte in ihr eigenes LMS, wenn Sie die Ergebnisse im Anschluss betrachten möchten. Ansonsten kann es auch einfach zur Selbstreflexion ohne Ergebnissicherung genutzt werden.

Kompetenzerwerb

Die Schüler:innen
  • lernen unterschiedliche Aktionsformen gewaltfreien Protests kennen (Wahrnehmungskompetenz),
  • erörtern die Chancen und Probleme unterschiedlicher Aktionsformen (Deutungs- und Urteilskompetenz),

M11

Gewaltfreie Aktionsformen zivilgesellschaftlichen Protests (pdf/docx/h5p)

Zivilgesellschaft in Gefahr – „shrinking space“

In der Zivilgesellschaft übernehmen die Bürger:innen Verantwortung für die Gesellschaft und für andere Menschen. Sie setzen sich u.a. ein für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Rechtsstaatlichkeit. Das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürger:innen vollzieht sich in NGOs (Non-Governmental Organisation). Dazu gehören Vereine, Nachbarschaften, Kirchen und viele andere Organisationen.

Zivilgesellschaftliche Akteure haben im weltweiten Kontext oftmals alarmierend wenig Handlungsspielraum. Der Atlas der Zivilgesellschaft 2023 von Brot für die Welt zeigt auf, dass nur drei Prozent der Weltbevölkerung  in Ländern mit einer offenen Zivilgesellschaft leben, mehr als zwei Drittel hingegen in autoritären Staaten oder Diktaturen, in denen das zivilgesellschaftliche Handeln mehr oder weniger stark eingeschränkt oder sogar ganz unterbunden wird.

Der Atlas der Zivilgesellschaft zeigt in fünf Kategorien auf, welche Handlungsoptionen Bürger:innen in ihren Staaten und Gesellschaften haben. Von offen über beeinträchtigt, beschränkt und unterdrückt bis zu geschlossen reicht die Bandbreite.

2022 begehrten Bürger:innen in 133 Ländern gegen Politik und Handlungen von Regierenden auf ‒ das sind zwei von drei Ländern weltweit. In mindestens 90 Ländern wurden friedlich Demonstrierende verhaftet, in 57 Ländern verletzt und in mindestens 24 Ländern auch getötet.

Wie schwierig die Lage der Zivilgesellschaft ist, wie ihr Handlungsraum ‒ Stichwort Shrinking Space ‒ vielerorts immer enger wird, das zeigt der Atlas der Zivilgesellschaft 2023. Brot für die Welt hat ihn auf der Grundlage eigener Expertise, der Einschätzungen von Partnerorganisationen sowie mit Daten von CIVICUS für das Jahr 2022 erstellt. Jährlich veröffentlicht CIVICUS einen Bericht, in den neben eigenen Analysen die Recherchen und Erfahrungen lokaler, nationaler und regionaler Nichtregierungsorganisationen sowie öffentlich zugängliche Berichte von mehr als 20 Partnerorganisationen einfließen.

Viele westliche Demokratien, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, weisen nicht (mehr) den Status einer offenen Zivilgesellschaft auf, da zunehmend Einschränkungen oder zeitlich befristete Beschränkungen bürgerschaftlichen Engagements zu verzeichnen sind. Gleichzeitig zeigt sich in der Auseinandersetzung mit erstarkendem Rechtspopulismus und –extremismus eine große Bereitschaft aus der sog. „Mitte der Gesellschaft“ zum Einstehen für eine vielfältige Gesellschaft, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Mit Einschränkungen zivilgesellschaftlichen Engagements im weltweiten Kontext geht immer auch eine mehr oder weniger starke Beeinträchtigung grundlegender Menschenrechte einher.

Durch das Globale Lernen im Blick auf den Atlas der Zivilgesellschaft erschließen sich den Schüler:innen sowohl die Gefährdungen als auch die Gewinne für ein gelingendes Zusammenleben von Menschen vor dem Hintergrund der Verantwortung von Christ:innen/Kirche/Religionsgemeinschaften für Staat und Gesellschaft.

Theologisch-Didaktische Hinweise

zu Schritt 1 – Sehen: biblischer Bezug, Anforderungssituation, Öffentliche Theologie 

„Suchet der Stadt Bestes“, so lautet die Kurzform der Aufforderung, wie sie auf einer der Glocken der durch bürgerschaftliches Engagement auf Spendenbasis wiederaufgebauten Dresdner Frauenkirche zu lesen ist. Und weiter: „Betet für sie zum Herrn! Denn geht es ihr gut, wird es auch euch gut gehen. Und ihr werdet in Frieden leben.“ Mit diesen Worten des Propheten Jeremia (29,7) ist ein Programm aus biblisch-theologischer und religiöser Sicht formuliert für die Mitverantwortung für das Gemeinwesen, für Staat und Zivilgesellschaft.

Im 6. Jahrhundert v. Chr. eroberten die Truppen des babylonischen Königs Nebukadnezzar II. das Südreich Juda. In den Jahren 597 und 587 v. Chr. ließ er zwei Mal die Oberschicht nach Babylonien deportieren (2. Könige 24,14-16). Um die eroberten Provinzen zu schwächen, verfolgten Herrscher im Alten Orient immer wieder diese Strategie des Austausches der (intellektuellen) Oberschichten (Priester, Kaufleute, Handwerker) der verschiedenen Provinzen untereinander. Damit wurden effektiv die Kreise aus dem Weg geräumt, die einen Aufstand hätten anzetteln können.

Das babylonische Exil bildete in der Geschichte Israels einen schmerzhaften Tiefpunkt für die Gläubigen, da alle bisherigen äußeren Fundamente des Volkes Israel (Tempel und Königtum) verloren gingen.

Die Verbannten konnten in relativ selbständigen Siedlungen am Kanal Kebar nördlich von Babylon wohnen (vgl. Ezechiel 3,15). Dennoch waren sie gezwungen in einer aus ihrer Sicht heidnischen Umgebung zu leben. In dieser Situation fragten sie, wie sie verhalten sollten, zumal eine baldige Rückkehr in die Heimat unwahrscheinlich erschien. Der Prophet Jeremia schreibt daher einen Brief, in dem er u.a. darauf hinwirken will, dass die Weggeführten einerseits treu zu Jahwe, dem einen und einzigen Gott, stehen (also nicht dem in Babylonien üblichen Polytheismus verfallen), andererseits sich in dieser Umgebung einrichten, engagieren durch Tat und Gebet (also zivilgesellschaftlich handeln).

Den Einstieg in (und den Rahmen für) das Unterrichtsvorhaben bildet am besten eine Anforderungssituation mit einem möglichst aktuellen gesellschaftspolitischen Bezug. Anfang 2024, zum Zeitpunkt der Erstellung des Unterrichtsmaterials, stellt das die Auseinandersetzung mit dem auch in Deutschland erstarkten Rechtspopulismus und -extremismus dar. In vielen Städten gehen Menschen aus der Zivilgesellschaft (später unterstützt von politisch Verantwortlichen) in Demonstrationen auf die Straßen der Bundesrepublik, um für Vielfalt und die Erhaltung der Demokratie ein Zeichen zu setzen.

Lena Müller, eine Pfarrerin aus Berlin-Neukölln, hat gemeinsam mit drei weiteren jungen Theolog:innen eine sehr erfolgreiche Kampagne #pfarrpersonengegenrechts auf Instagram initiiert, bei der Pfarrer:innen und kurze Zeit später alle Christ:innen aufgefordert wurden, Stellung gegen rechts, gegen die Aushöhlung demokratischer Freiheits- und Grundrechte, zu beziehen.

Die Anforderungssituation nimmt diese Kampagne auf und zielt auf eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob, wie und inwieweit, initiiert durch die Schüler:innenvertetung, Lehrkräfte und Schüler:innen einer Schule „Gesicht zeigen“ sollen gegen rechts.

Vertiefend werden dann auf konkrete Situationen bezogene Interpretationen von Jeremia 29,7 in den Blick (Rede Hans-Josef Vogel/Predigt Christian Kopp) genommen, sowie die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat/Gesellschaft (bzw. Religion und Politik) anhand des Konzeptes der „Öffentlichen Theologie“ von Heinrich Bedford-Strohm erschlossen. Zu klären bleibt im nächsten Schritt die Frage, wie Theologie „öffentlich“ wird. Hier können öffentliche Äußerungen von Theolog:innen und/oder Kirche in den Blick kommen, z. B. durch Wiederaufnahme der Anforderungssituation #pfarrpersonengegenrechts, des Thesenanschlags Martin Luthers an das schwarze Brett der Universität Wittenberg an der dortigen Schloßkirche oder aktuelle Äußerungen aus dem Bereich der Kirche(n) zu gesamtgesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Ebenfalls möglich ist eine Verknüpfung mit einer zuvor (theologisch-kirchengeschichtlich orientierten) im Unterricht vorgenommenen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kirche und Staat (Röm 13; Zwei-Regimentenlehre; Kirche zwischen Anpassung und Widerstand). 

zu Schritt 2 – Erkennen: Rolle der Zivilgesellschaft – shrinking space – beispielhaftes Handeln junger Menschen in der Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft umfasst den Bereich innerhalb der Gesellschaft, der zwischen dem staatlichen, dem wirtschaftlichen und dem privaten Sektor angesiedelt ist, zum Beispiel in Vereinen, Verbänden und vielfältigen Formen von Initiativen und sozialen Bewegungen. Auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften gehören konstitutiv in diesen Sektor. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten sind nicht profitorientiert und nicht abhängig von parteipolitischen Interessen. Viele Politikwissenschaftler beschreiben die Zivilgesellschaft als Komponente, die neben dem Staat und wirtschaftlich handelnden Akteuren notwendig ist, um eine ideale pluralistische Gesellschaft von engagierten Bürgern zu schaffen und demokratische Strukturen zu fördern.

In Deutschland und weiten Teilen Europas wird dieses Engagement aus der Mitte der Gesellschaft positiv bewertet und teilweise in erheblichem Maße unterstützt. Nicht nur, aber in großem Umfang sind z.B. die sozialdiakonischen Aktivitäten von Kirchen und Religionsgemeinschaften sogar konstitutiv für das Funktionieren des Sozialstaates (Subsidiaritätsprinzip). Anders sieht es z.B. aus, wenn aus der Zivilgesellschaft heraus, erhebliche Kritik an politischen Prozessen und Entscheidungen geübt wird. Auch in demokratischen Staaten wird dann immer wieder der Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Akteuren eingeschränkt. In nicht demokratischen politischen Systemen wird die Zivilgesellschaft nicht selten als Opposition begriffen und ihre Handlungsmöglichkeiten stark beschnitten oder sogar unmöglich gemacht. Dafür hat sich der Fachbegriff „shrinking space“ etabliert.

Ggf. unter Bezugnahme auf Unterrichtsinhalte aus dem sozialwissenschaftlichen oder Politikunterricht setzen sich die Schüler:innen mit der Rolle, Bedeutung und Gefährdung der Zivilgesellschaft auseinander und lernen an konkreten Beispielen zivilgesellschaftliches Engagement von Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft exemplarisch kennen. Dabei ist darauf zu achten, dass es sich (zumindest auch) um ganz „normale“ Menschen handelt. Die in Unterrichtsmaterialien häufig vorzufindenden „Heiligen“ aus der Kirche (Dietrich Bonhoeffer) oder der Zivilgesellschaft (Mahatma Ghandi) mögen als grundsätzliche Orientierungspunkte im Leben dienen, mit dem Alltag der Schüler:innen, bzw. mit den sich ihnen stellenden gesellschaftspolitischen und historischen Situationen oder Handlungsoptionen haben sie häufig nur wenig zu tun. „Lokale Helden“, „Helden des Alltags“ sind für das biografische Lernen und die Vorbildorientierung daher zu bevorzugen.

zu Schritt 3 – Handeln: zivilgesellschaftliche Handlungsoptionen für Schüler:innen – Erarbeitung und Diskussion von Aktionsformen – Kompetenzsicherung (Anforderungssituation)

Um Schüler:innen zu eigenverantwortlichem Handeln, auch aus ihrem Glauben heraus, in der Zivilgesellschaft anzuregen, ist eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen gesellschaftlichen und speziell der zivilgesellschaftlichen Situation, in der sie leben, unabdingbar. Dazu gehört das Kennen(lernen) von Handlungsmöglichkeiten und deren Chancen und Gefahren, bzw. die Erörterung von Vor- und Nachteilen.

Weimar, 16.9.2023. Youthtopia, die Jugendorganisation von Brot für die Welt hat ihr jährliches Treffen in Weimar. Es finden verschiedene Workshops statt und eine Straßenaktion zu Menschenrechten und Umweltschutz in Lieferketten auf dem Theaterplatz im Stadtzentrum.
Copyright: Nancy Heusel/Brot für die Welt

Das Unterrichtsvorhaben abschließend wird die Anforderungssituation vom Beginn nochmals explizit in den Blick genommen und eine begründete Position zur Frage der Beteiligung von Lehrkräften und Schülervertreter:innen an einer öffentlichkeitswirksamen Aktion der gesamten Schule gegen Rechtspopulismus und -extremismus entwickelt. Dazu dient eine von den Schüler:innen vorbereitete und durchgeführte Debatte.

Cloudordner

Bilder und Videos

Links

Dieses Bildungsmedium nimmt den OER-Maker Impuls auf. Der Unterrichtsentwurf ist lizenziert als OER: CC-BY-NC-SA.

Alle Materialien, sind soweit nicht anders vermerkt, OER: CC-BY-NC-SA.

CC BY-NC-SA 4.0
Weiternutzung als OER ausdrücklich erlaubt: Dieses Werk und dessen Inhalte sind - sofern nicht anders angegeben - lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0 . Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt:
Suchet der Stadt Bestes OER (my relilab) von , , , Lizenz: CC BY-NC-SA .

Curricularer Bezug

Bildungs-/Lehrplanbezug